Am Rande der ghanaischen Gesellschaft kämpfte Maclean Atsu Dzidzienyo als Kind wegen seiner Behinderungen täglich ums Überleben. Doch er kämpfte sich durch. Ein Rollstuhl, und schließlich der Sport veränderten sein Leben: Als erfolgreicher Paralympionike setzt er sich heute dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft akzeptiert werden. 

Maclean Atsu Dzidzienyo ist neun Jahre alt, als sich sein Leben von einem Tag auf den anderen verändert. Wegen starker Kopfschmerzen bringen ihn seine Eltern ins örtliche Krankenhaus. „Ich weiß bis heute nicht, was dann genau passiert ist. Später hörte ich nur, dass der Arzt mir an der falschen Stelle eine Injektion verabreichte.“

Am nächsten Tag kann der Junge seine Beine nicht mehr fühlen, nicht mehr stehen, nicht mehr laufen. Und das in einem ärmeren Viertel in Ghanas Hauptstadt Accra. Vier Geschwister haben seine Eltern zu versorgen, die ohnehin kaum über die Runden kommen.

Für ein Kind, das seine Beine nicht mehr spüren und bewegen kann, ist kein Platz in einer Gesellschaft, die Behinderungen stigmatisiert und in der viele Eltern Kinder mit Behinderungen verstecken oder sogar töten. Zwar bleibt Maclean am Leben, aber seine Mutter verlässt die Familie nach diesem Schicksalsschlag. „Was hätte sie denn machen sollen?“, fragt Maclean heute, fast 30 Jahre später. „Die Nachbarn haben behauptet, sie sei verflucht.“

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Auf sich selbst gestellt kämpft er sich durch

Sein Vater lässt ihm immerhin ein Dach über dem Kopf, aber das ist auch schon alles. Mit neun Jahren ist Maclean völlig auf sich allein gestellt. Auf seinen Händen kriecht er durch die Straßen, im Gebüsch stellt er Fallen auf – das Jagen hat er in seiner frühen Jugend von seinem Vater gelernt.

Mit selbst gebauten Schlingen fängt er kleine Nagetiere, Katzen und Eichhörnchen, die er auf dem Markt verkauft. So kommt er über die Runden, einigermaßen. „Das Leben damals war hart, wirklich hart“, erinnert sich Maclean, der kaum genug verdiente, um sein Schulgeld zu bezahlen.

Ohne Bildung, das ist dem damals Jungen klar, hat er keine Chance in dieser Welt. Immer wieder stößt er auf Menschen, die ihn unterstützen und irgendwann – da ist er bereits in der Oberstufe – einen Rollstuhl organisieren. Auch mit ihrer Hilfe kann Maclean die Schule mit einer Hochschulzulassung beenden.

Der Ghanaer Maclean sitzt in einem Feld und arbeitet mit einer Hacke (Bild von 2004)

Feldarbeit: Maclean im Jahr 2004 © GIZ / Maclean Dzidzienyo

Athlet, Geschäftsmann, Aktivist

Das Jagen allerdings gibt Maclean lange nicht auf, und dabei ist er immer noch auf seinen Händen unterwegs. So auch an dem Tag, an dem er Elvis Kusi Alipui begegnet. Elvis ist ein Aktivist, der sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt. Er ist ein Sportnarr, der Maclean den Zugang zur Welt des Behindertensports verschafft.

Basketball ist Macleans erste Disziplin – er schafft es in die Auswahl für die Paralympics. Es folgen 1.500-Meter-Rennen und schließlich die Königsstrecke: der Marathon. Maclean wird in Ghana zum Idol und zum Fürsprecher von Menschen mit Behinderungen.

„Andere sehen, dass es für Menschen mit Behinderungen mehr gibt, als auf der Straße um Almosen zu betteln. Ich kann sie inspirieren“, sagt der fünffache Gold-Medaillen-Gewinner, der nicht nur im Basketball und beim Marathon von sich reden machte. Er ist auch der erste Ghanaer, der jemals zu dem prestigeträchtigen Tennis-Turnier in Wimbledon angetreten ist.

„Der Sport hat mich gerettet“, sagt Maclean. Aber es ist ja nicht nur der Sport – es ist vor allem er selbst, der nie aufgibt und seine Ziele verfolgt. Auch in beruflicher Hinsicht: Maclean wird vom Jäger zum sehr erfolgreichen Züchter. Von dem Verkauf der auf Ghanas Speiseplänen sehr beliebten Agutis kann er einigermaßen leben – bis das Geschäft durch Corona einbricht, weil unter anderem Nagetiere für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht werden.

Maclean trainiert in seinem Rollstuhl © GIZ / Felix Lohmaier

Maclean trainiert in den Katakomben des Accra Sports Stadiums © GIZ / Felix Lohmaier

Eine vollständig barrierefreie Welt – und das überall

Zwar hat Maclean zu Beginn der Pandemie bereits eine Ausbildung zum Buchhalter abgeschlossen – aber einen bezahlten Job findet er nicht. Das geht vielen Menschen mit Behinderungen so. „Ich kenne eine Menge Leute, die auf Jobsuche und richtig gut qualifiziert sind“, erzählt er. „Aber sie kriegen keine Anstellung.“ Zum einen wegen der ablehnenden Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen, erklärt Maclean. Zum anderen, weil die Infrastruktur in Ghana nicht entsprechend angelegt ist: Kaum ein Büro, kaum ein Gebäude in Ghana ist barrierefrei – für Menschen im Rollstuhl sind sie so nicht zugänglich.

Auch der öffentliche Nahverkehr ist nicht auf Menschen mit Behinderungen ausgerichtet. Und von Taxifahrer*innen werden sie häufig nicht mitgenommen. Dabei ist der Zustand der Straßen mit unzähligen Schlaglöchern und fehlenden Gehwegen schon für Menschen ohne Behinderungen ein großes Sicherheitsrisiko. Für Menschen mit Behinderungen ist die mangelhafte Infrastruktur daher oftmals ein unüberbrückbares Hindernis.

Maclean arbeitet ehrenamtlich bei „Go get dem“, einer Organisation, die Sportler*innen mit Behinderungen fördert – und die sich auf allen Ebenen für die Verbesserung ihrer Lebensumstände einsetzt. Langsam ändere sich die Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen in Ghana, sagt Maclean, immer häufiger sehe man Rampen zu Läden und Büros. „Aber das reicht natürlich nicht!“ Wenn er die Macht dazu hätte, würde er gerne genau hier ansetzen, sagt der Sportler, Geschäftsmann und Aktivist. Er würde für Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen für Menschen mit Behinderungen sorgen – nicht nur im Sport, sondern überall. Das sei echte Inklusion.