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Inklusion und Gleichstellung durch Digitalisierung

Was haben Tastaturen, elektrische Zahnbürsten und Spracherkennungssoftwares wie Siri oder Alexa gemeinsam? Sie alle wurden ursprünglich für Menschen mit Behinderungen entwickelt. Dabei machen derartige Innovationen viele Dinge des alltäglichen Lebens aber auch für alle anderen einfacher. Ein Grund dafür also, Menschen mit Behinderungen in die Prozesse der Digitalisierung einzubeziehen.

Nichts ist gut an dieser globalen Pandemie, und dennoch lässt sich aus Covid-19 eine Menge lernen. Zum Beispiel, dass viele digitale Technologien, die marginalisierten Gruppen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erleichtern können, schon lange vorhanden sind. Man muss sie nur richtig nutzen. Homeoffice oder Online-Vorlesung beispielsweise haben einige der Barrieren abgebaut, mit denen Menschen mit Behinderungen im Alltag häufig konfrontiert sind.

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Menschen, die im Rollstuhl sitzen, können nun von zu Hause aus arbeiten und lernen. In ihrem Alltag haben sie dadurch seltener mit der oftmals fehlenden Infrastruktur am Arbeitsplatz zu kämpfen. Die Umstellung auf Online-Meetings kommt vielen Menschen mit Hörbehinderungen zugute. Mit Hilfe von Apps, die Videogespräche in Echtzeit transkribieren, können sie leichter an Gesprächen teilnehmen – selbst wenn alle einen Mundschutz tragen.

Doch noch immer sind digitale Anwendungen und Angebote nicht annähernd flächendeckend barrierefrei. Die gemeinnützige Organisation WebAim stellt in einer aktuellen Studie fest, dass nur etwa zwei Prozent aller Webseiten weltweit wenige Barrieren für Menschen mit Behinderungen aufweisen. Eine Webseite gilt dann als barrierearm, wenn sie, zum Beispiel, leichte Sprache verwendet, Videos auch mit Untertiteln anbietet oder durch farbliche Abhebungen auch für Menschen mit Sehbehinderungen zu bedienen ist.

Inklusion auch ein „Business Case“

Menschen mit Behinderungen – das sind immerhin 1,3 Milliarden Menschen weltweit. Doch langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Barrierefreiheit allen Menschen zugutekommt. Ein Beispiel: Spracherkennungssoftwares helfen auch Menschen ohne Behinderungen dabei, schneller E-Mails zu schreiben und dadurch effizienter zu arbeiten.

Darüber hinaus ist Inklusion auch ein „Business Case“, wie Thomas Ongolo, Mitarbeiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) es nennt. „Wer Produkte oder Dienstleistungen inklusiv gestaltet, profitiert – auch wirtschaftlich“, erklärt der Regionalberater für Afrika im Globalvorhaben „Inklusion von Menschen mit Behinderungen“. „Sie sind in der Regel besonders nutzerfreundlich und dadurch besonders attraktiv – auch für Menschen ohne Behinderungen.“

Und ganz nebenbei können durch diese inklusiven Produkte und Dienstleistungen Hürden abgebaut werden, die Menschen mit Behinderungen häufig den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt sowie die Teilhabe an der Gesellschaft im Allgemeinen erschweren.

Armut erschwert den Zugang zu digitalen Technologien

Obwohl sich die Staatengemeinschaft mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention zu der Beseitigung von Barrieren verpflichtet hat, kämpfen Menschen mit Behinderungen im Alltag und in der Arbeitswelt häufig noch immer mit strukturellen und institutionellen Hindernissen und Vorurteilen. Sie gehören weltweit zu den Menschen, die am stärksten von der Digitalisierung ausgeschlossen sind.

Warum das so ist? Ein großer Teil der Techniken und Hilfsmittel ist teuer – man muss sich den Zugang zu digitalen Technologien also auch leisten können. Menschen mit Behinderungen werden aber häufig stigmatisiert und diskriminiert. In vielen wirtschaftlich schwächeren Regionen sind sie fast immer am stärksten von Armut bedroht oder betroffen. Covid-19 hat ihre ohnehin schon prekäre Situation noch verschärft.

Während beispielsweise an der University of Education Winneba (UEW) in Ghana Online-Learning-Module eingeführt wurden, können sich die Studierenden mit Behinderungen oftmals keine Smartphones oder Laptops leisten, so Dr. Daniel Dogbe, Leiter der Abteilung Special Education an der UEW. Wer also das Büro oder das Klassenzimmer nicht mehr aufsuchen darf, keinen Zugang zur Technik hat oder nicht weiß, wie damit umzugehen ist, kann nicht an den Vorlesungen teilnehmen.

Natürlich sind digitale Technologien auch in strukturell schwächeren Ländern durchaus vorhanden. Allerdings fehlen häufig sowohl der politische Wille als auch das Bewusstsein dafür, welche Vorteile und Möglichkeiten Inklusion im Bereich Digitalisierung bieten würden, weiß Rawan Barakat, die Gründerin der Non-Profit-Organisation Raneen in Jordanien. „Menschen mit Behinderungen“, erklärt die Aktivistin, „müssten von Anfang an in die Prozesse der Digitalisierung einbezogen werden, um zu vermeiden, dass sie gesellschaftlich noch weiter abgehängt werden.“

GIZ fördert Teilhabe durch digitale Technologien

Genau daran arbeitet das GIZ-Globalvorhaben „Inklusion von Menschen mit Behinderungen“ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). In vielen Regionen der Welt unterstützt das Vorhaben diverse Organisationen, die sich für die Rechte und die Inklusion von Menschen mit Behinderungen einsetzen.

In Kambodscha beispielsweise ist gemeinsam mit der Cambodian Disabled People’s Organization, (CDPO) eine App entwickelt worden, mit der Organisationsvertreter*innen durch Umfragen die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen erfassen können. Zur Förderung digitaler und inklusiver Innovationen arbeitet die GIZ außerdem mit der Privatwirtschaft zusammen.

Mit dem globalen IT-Unternehmen Atos etwa startete die GIZ im Jahr 2021 die ICT 4 Inclusion Challenge. Seitdem können Menschen mit und ohne Behinderungen jährlich digitale Lösungen einreichen, die auf die soziale und wirtschaftliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen abzielen. Die Initiator*innen der ICT4 Inclusion Challenge bieten für ausgewählte Innovatoren und Unternehmen ein Bootcamp an, in dem diese ihre Innovationen als Geschäftsmodell weiterentwickeln und so einen Beitrag für eine inklusive Gesellschaft leisten können.

Inklusion ist eine Chance für die gesamte Gesellschaft

Während der Alltag von Menschen mit Behinderungen oft schon mit einfachen Technologien erheblich leichter wird, braucht es für gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen meist einen längeren Atem. „Die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu fördern, bedarf in vielerlei Hinsicht eine Menge Aufwand”, meint auch Gideon Sackey, der als Software-Ingenieur und Studiendekan bei GetINNOtized arbeitet, einem ghanaischen Unternehmen, das auf dem afrikanischen Kontinent kluge Köpfe aus dem IT-Bereich an Unternehmen vermittelt.

Im Rahmen des Programms Digital Skills Accelerator Africa (DSAA) unterstützt die GIZ Firmen wie GetINNOtized dabei, verstärkt Auszubildende mit Behinderungen zu finden und einzustellen. Eine Herausforderung? „Im Gegenteil”, sagt Gideon. „Es ist eine Chance.“ Nicht nur für die Menschen mit Behinderungen, sondern für die ganze Gesellschaft. Die nämlich profitiert von weniger Menschen in Armut und von der Einbindung bislang ausgegrenzter Kompetenzen.

Bis Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt allerdings die gleichen Chancen wie Menschen ohne Behinderungen haben, ist noch viel zu tun. GetINNOtized will hierzu einen Beitrag leisten und hat unter anderem das Azubi-Africa-Programm ins Leben gerufen.

Im Rahmen dieses Programms werden Ausbilder*innen des Unternehmens von speziell geschulten Trainer*innen für das Thema Inklusion sensibilisiert. Diese wiederum geben ihr neu gewonnenes Wissen dann an ihre Teams weiter und schaffen auf diesem Wege ein Bewusstsein für eine barrierefreies Arbeitsumfeld.

Die Ausbilder*innen ergreifen bei GetINNOtized ganz selbstverständlich die Initiative, bemerkt Gideon. „Es ist nicht etwas, das wir entscheiden zu tun oder nicht zu tun, es passiert automatisch.“ Inklusion als Selbstverständlichkeit also – das ist ein Ausblick, der Hoffnung macht.