Gano und Lika vor einer Kleiderstange.

Das georgische Mode-Label Kombinizona setzt Inklusion umfassend um. Zum einen stellt es Mode für Menschen mit Behinderungen und für Schwangere her. Zum anderen haben bis zu fünfzig Prozent der Fabrikmitarbeitenden eine Behinderung. Dabei hat das junge Unternehmen in den letzten Jahren einen steilen Aufstieg hingelegt. Ein Mode-Label mit Vorreiterrolle und starken Werten.

Mit einer geliehenen Nähmaschine, einem Zehnjahresplan und einer besonderen Idee – nämlich Kleidung herzustellen, die sich die therapeutische Wirkung von Farbwahrnehmungen zunutze macht: So ist das Modelabel Kombinizona 2017 an den Start gegangen. Mit gewaltigem Erfolg! Es hat nur drei Wochen gedauert, dann war die erste Kollektion des jungen Labels bereits ausverkauft. Hergestellt wird Mode, die Gründerin Gano Melitauri als inklusiv bezeichnet: Umstandskleidung und Kleidung für Menschen mit Behinderungen. Vier Jahre später beschäftigen Gano und ihr Geschäftspartner und Ehemann Kakhaber Gagnidze mehr als siebzig Mitarbeitende – die Hälfte davon Menschen mit Behinderungen. Das ist bemerkenswert in einem Land, in dem gerade mal ein Drittel der Menschen mit Behinderungen berufstätig sind. Nur ein Bruchteil von ihnen – noch nicht einmal fünf Prozent – ist mit sozialversicherungspflichtigen Verträgen beschäftigt. EU-weit sind es sieben Mal mehr.

Georgien hat zwar 2014 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert. Doch an der Arbeitslosigkeit, einem der größten Probleme des Landes in Sachen Inklusion, hat sich seither nicht viel getan. Vor allem die Infrastruktur Georgiens ist kaum auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet. Auch die Fabrik, in der Kombinizona mit den Arbeiten an der Kollektion begonnen hat, ist nicht barrierefrei ausgestattet. „Wir haben nicht die passenden Bedingungen für Rollstuhlfahrer*innen“, erklärt Gano. Doch während das für viele Unternehmen offenbar Grund genug ist, Menschen mit Gehbehinderung nicht einzustellen, hat Kombinizona eine andere Lösung gefunden: Homeoffice. Und das lange bevor Europa und die Welt in der Pandemie auf dezentrales Arbeiten ausweichen mussten.

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Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen

Was bewegt Gano und ihren Partner dazu, hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen? Ganz einfach, sagt Gano: „Unternehmen haben eine große Verantwortung Menschen mit Behinderungen gegenüber.“ Die Unternehmen sollten also Möglichkeiten schaffen, sie zu beschäftigen. „Es ist egal, ob ein Mensch im Rollstuhl sitzt oder zu Fuß unterwegs ist. Jeder Mensch ist ein eigenes Individuum mit eigenen Stärken.“

Verantwortung übernehmen, kann aber auch anstrengend sein, gibt Gano zu. „Die Gewinnung von Mitarbeitenden ist ziemlich aufwendig“, sagt sie. „Es ist ein erschwerter Prozess, die Personen, die wir suchen, mit unseren Stellenausschreibungen zu erreichen.“ Alle, die sich bewerben und die Anforderungen erfüllen, werden zu einem persönlichen Gespräch eingeladen – was bedeutet, dass teils Hunderte von Gesprächen geführt werden, bevor man sich für eine*n Kandidat*in entscheide. Die Kriterien sind für alle gleich: „Wir entscheiden uns für Mitarbeitende aufgrund ihrer Fähigkeiten, Erfahrungen und ihrer Werte“, erklärt Gano.

Werte sind auch für Lika Chachibaia sehr wichtig. „Kombinizona beschreibt genau meinen Charakter“, sagt die 25-jährige Paralympics-Sportlerin, die von Gano für Kombinizona als Mitarbeiterin und Model entdeckt wurde. Damit meint Lika vor allem Weltoffenheit, eine Eigenschaft, die für sie auch aufgrund ihrer eigenen Geschichte so wichtig ist. Bei einem Unfall verlor die damals 16-Jährige einen Arm. „Ich brauche nicht zwangsläufig zwei Hände, und meine Behinderung hindert mich nicht daran, das zu machen, was ich will.“ Sie habe entschieden, aktiv zu leben – als Sportlerin, aber auch als Mensch, der seine Ideen umsetzen und seine Talente und seine Kreativität einbringen will.

Gano steht an einem Tisch und schaut auf Textilien.

Gano bei der Arbeit © GIZ / Tamar Korakhashvili

Die Mitarbeitenden haben Priorität – auch in Zeiten von COVID

Doch im Frühjahr 2020 kam die COVID-19-Pandemie. Das sei die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen, erzählt Lika. „Ich saß isoliert ohne Beschäftigung zu Hause. Diese Zeit war die Hölle.“ Für Menschen mit Behinderungen sei es noch einmal viel schwerer gewesen, da ist sich Lika sicher. „Wir versuchen, immer aktiv zu leben. Genau das ist uns weggenommen worden.“ Jetzt profitiert Lika genau wie ihre Kolleg*innen davon, dass für Gano und ihren Partner die Menschen in ihrem Unternehmen immer an erster Stelle stehen. „Unsere Hauptaufgabe war, die Arbeitsplätze zu erhalten und unserem Team dadurch Sicherheit zu bieten“, sagt Gano rückblickend. Das sei die größte Herausforderung gewesen.

Es ist ihnen gelungen, die schlimmste Phase der Pandemie nicht nur zu überstehen – ein kleines Wunder für ein damals so junges Unternehmen. Sie konnten diese Zeit sogar nutzen, um über sich selbst und über gesellschaftliche Grenzen hinauszuwachsen. „Wir haben sofort die verrückte Entscheidung getroffen, unseren Mitarbeitenden die Maschinen mit nach Hause zu geben.“ In nur zwei Tagen hatte das Unternehmen eine neue Produktlinie „Alikapi“ eingeführt und begonnen, medizinische Ausrüstungen wie Masken oder Kittel herzustellen. Sie spendeten dreißig Prozent des Gewinns aus dem Verkauf der medizinischen Ausrüstung und gaben eine große Anzahl von Masken kostenlos an Menschen mit Behinderungen ab.

Lika schaut Klamotten an.

Lika mit Kombinizona-Mode © GIZ / Tamar Korakhashvili

„Wir haben aber schnell festgestellt, dass wir mit unserem Equipment den gesteigerten Anforderungen überhaupt nicht mehr gerecht werden konnten“, erinnert sich Gano. An diesem Punkt sprang das Clusters4Development Projekt ein, das von der EU sowie der deutschen Bundesregierung finanziert und von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt wird. Mit dieser Unterstützung konnten weitere Maschinen beschafft und vor allem fünfzig Frauen als Fachkräfte angestellt werden – darunter auch viele Frauen mit Behinderungen. Gano weiß: Kombinizona hat, auch mit Hilfe des GIZ-Projekts, die durch COVID-19 ausgelöste Krise überwinden können. Dafür ist sie dankbar. Auch, weil sie in ihrem Leben und mit dem Unternehmen Kombinizona noch sehr viel vorhat.

Eine Schaufensterpuppe gekleidet mit einem Kleid.

Die Kombinizona-Schneiderei für inklusive Mode © GIZ / Tamar Korakhashvili