Ein Mann im Rollstuhl und eine Frau tanzen zusammen.

Mehr als 1,3 Milliarden Menschen weltweit leben mit mindestens einer Behinderung. Davon über 80 Prozent in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Für die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) heißt das: Die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen müssen systematisch einbezogen werden, denn sie sind Teil jeder Zielgruppe. Artikel 32 der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen verpflichtet die deutsche EZ dazu, ihre Projekte inklusiv zu gestalten. Die folgenden zehn Bausteine können helfen, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Projekten der EZ umzusetzen:

1. Partner einbeziehen

Die Rechte von Menschen mit Behinderungen sind ein wichtiger Teil des Menschenrechtsdialogs. Sie sollten in Regierungskonsultationen und -verhandlungen angesprochen werden. Der weitaus größte Teil der Staatengemeinschaft hat die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. In vielen Fällen ist allerdings das zuständige Ministerium nur marginal in bilaterale EZ-Verhandlungen eingebunden. Die Zusammenarbeit zwischen den für EZ-Planung zuständigen Ministerien und dem für Inklusion zuständigen Fachministerium kann gestärkt werden, wenn das Thema Rechte von Menschen mit Behinderungen proaktiv angesprochen wird.

Beispiel:
In den Konsultationen mit einem Partnerland weist die deutsche Seite darauf hin, dass ihr eine inklusive EZ im Sinne von Art. 32 der Behindertenrechtskonvention wichtig ist. Das Planungsministerium lädt daraufhin das zuständige Sozialministerium ein, eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe einzurichten, welche Vorschläge für die Berücksichtigung von Inklusion in den verschiedenen EZ-Schwerpunktsektoren macht.

2. Planen und Steuern

Die Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen sollte sich bereits im Angebot der Durchführungsorganisation an das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) widerspiegeln. Hierzu kann gehören, die Situation von Menschen mit Behinderungen in der Problemdarstellung zu nennen oder im Abschnitt zu den Zielgruppen des Vorhabens zu erwähnen. Wichtig ist: Je deutlicher Inklusion ein Teil des Auftrags des BMZ an die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist, desto stärker werden Menschen mit Behinderungen auch in der Implementierung des Vorhabens berücksichtigt. Das sollte dann auch in der Berichterstattung dokumentiert werden.

Beispiel:
Ein Projekt zum Bau von Sanitäranlagen in ländlichen Regionen stellt einen Indikator auf, anhand dessen am Ende der Phase überprüft wird, wie viele Anlagen barrierefrei gebaut wurden und wie viele Dorfbewohner mit Behinderungen die Einrichtungen nutzen.

3. Genau hinschauen

An vielen Stellen eines Projektes wird die Situation vor Ort analysiert – z.B. bei Prüfmissionen, Projektfortschrittskontrollen oder Baseline-Studien zu Projektbeginn. Es sollte darauf geachtet werden, dass diese Analyse auch die Realität von Menschen mit Behinderungen abbildet. Diese kann vor dem Hintergrund der Heterogenität dieser Teilzielgruppe enorm vielfältig und eng mit den jeweiligen Bedingungen der physischen und sozialen Umwelt verflochten sein. Wo es sich anbietet, kann eine spezifische Analyse der Situation von Menschen mit Behinderungen im Partnerland durchgeführt werden, die dann einen Überblick über verschiedene Stakeholder sowie eine Auswertung der politischen Rahmenbedingungen der Rechte von Menschen mit Behinderungen einschließen sollte.

Beispiel:
Nach einem Erdbeben analysieren die Expert*innen der Prüfmission auch die Situation von Menschen mit Behinderungen und geben Empfehlungen, wie das neue Übergangshilfe-Projekt am besten darauf eingehen kann. Die Ergebnisse der Analyse fließen sowohl in den allgemeinen Prüfbericht wie auch in eine spezifische Situationsdarstellung ein.

4. Ressourcen von Menschen mit Behinderungen nutzen

In vielen Vorhaben werden Beratungsgespräche mit der Zivilgesellschaft durchgeführt. Seien es die Einladung zu einem Planungsworkshop oder systematische Einbindungsprozesse mit Nichtregierungsorganisationen, es sollte immer darauf geachtet werden, dass auch Menschen mit Behinderungen und ihre Selbstvertretungsorganisationen, sogenannte Organisations of Persons with Disabilities (OPDs), aktiv beteiligt sind. Grundsätzlich gilt: Wann immer Menschen mit Behinderungen von Aktivitäten eines Projektes betroffen sind, sollte vorher und während der Umsetzung das Gespräch mit ihnen gesucht werden. Es gibt keine besseren Expert*innen zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen als diejenigen, die selbst mit Behinderungen leben.

Beispiel:
Ein Projekt zur ländlichen Entwicklung lädt verschiedene Frauengruppen zu einem Tagesworkshop zum Thema „Gefahren von offenen Herden“ ein. Auch eine örtliche Organisation von Menschen mit Behinderungen wird gebeten, Vertreter*innen zu entsenden.

5. Physische Hürden und Kommunikationsbarrieren schrittweise abbauen

Physische Barrierefreiheit gehört zu den wichtigsten praktischen Voraussetzungen von Inklusion. Gemeint sind nicht nur Rampen, breite Türen und barrierefreie Toiletten für Rollstuhlfahrer*innen, sondern auch Leitsysteme für Menschen mit Seebehinderungen, visuelle und optische Signale oder Gebärdenverdolmetschung für gehörlose Menschen sowie gegebenenfalls Texte in leichter Sprache für Menschen mit geistiger Behinderung. Gebäude, Veranstaltungen, Informationsmaterialien etc. sollten so gestaltet sein, dass auch Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen sich informieren und teilhaben können.

Beispiel:
In einem großen Bildungsprogramm wird beim Bau von 50 Dorfschulen darauf geachtet, diese auch für Kinder im Rollstuhl zugänglich zu machen. In einigen Schulen werden Braille-Drucker zur Verfügung gestellt.

6. Sensibilisieren und aufklären

Behinderung ist in vielen Gesellschaften ein Tabuthema oder wird als rein medizinisches Phänomen betrachtet. Mit Workshops oder Kampagnen können Zielgruppen, Mittler oder auch eigene Mitarbeitende für ein soziales und menschenrechtsbasiertes Verständnis von Behinderung sensibilisiert werden. Wenn es sich anbietet, kann spezifische Aufklärungsarbeit geleistet werden – genauso wichtig ist aber, dass sich im Rahmen von Aktivitäten zur Sensibilisierung zu anderen Themen auch die Situation von Menschen mit Behinderungen widerspiegelt.

Beispiel:
Eine Aufklärungskampagne zum Thema HIV/Aids stellt auch die Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen dar und geht auf die besonders hohe Gefährdung von Frauen mit Behinderungen ein, Opfer sexueller Gewalt zu werden.

7. Politikberatung inklusiv gestalten

In der Politikberatung für den Partner kann das Thema Behinderung im jeweiligen Sektor thematisiert werden. Fast alle Ressorts haben in irgendeiner Weise Berührungspunkte mit Behinderung, fast alle politischen Aktivitäten haben Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen. In die Beratung der Partnerregierung sollte diese Perspektive deshalb immer mit einfließen.

Beispiel:
Ein Beratungsprojekt zur Umsetzung von Wirtschaftsreformen und Arbeitsmarktpolitik berät das Arbeitsministerium der Partnerregierung unter anderem dabei, Menschen mit Behinderungen besser in den Arbeitsmarkt zu vermitteln.

8. Verantwortlichkeiten festlegen

Oft fallen Querschnittsthemen deshalb unter den Tisch, weil sich niemand so recht verantwortlich fühlt. Deshalb ist grundsätzlich das persönliche Engagement der für ein Vorhaben entscheidenden Personen wichtig; das können Länderreferent* innen im BMZ, Büroleiter*innen oder die Auftragsverantwortlichen sein (im Idealfall natürlich alle). Es kann sinnvoll sein, eine Mitarbeiter*in im Büro oder im Projekt als Focal Point für Behinderung einzusetzen. Diese Person koordiniert in einem Teil ihrer Arbeitszeit die Bemühungen, die Projektaktivitäten inklusiv zu gestalten und steht als Ansprechpartner*in zur Verfügung.

Beispiel:
Eine nationale Mitarbeiterin steht mit 50% ihrer Arbeitszeit als Ansprechperson zum Thema Behinderung zur Verfügung. Sie führt Workshops mit Kolleg*innen durch und bespricht regelmäßig mit den Auftragsverantwortlichen die Herausforderungen und Fortschritte bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Vorhaben.

9. In Inklusion investieren

Meistens lässt sich ein hohes Maß an Teilhabe schon mit ein wenig Kreativität im Rahmen bestehender Ressourcen erreichen. In einigen Fällen kann aber auch mit der Übernahme von Zusatzkosten ein wichtiger Beitrag geleistet werden. Das kann eine bauliche Anpassung eines Projektgebäudes sein oder die Übernahme von Kosten für die Übersetzung von Gebärdensprache. Es empfiehlt sich daher, in der Projektplanung auch einen Teil des Budgets für solche „Inklusionsinvestitionen“ zu reservieren.

Beispiel:
Ein Programm zur Verbesserung des Zugangs zu Gesundheitsdienstleistungen setzt einen „Inklusionsfonds“ auf, aus dem verschiedene Sensibilisierungsworkshops für Krankenhauspersonal finanziert werden. Die im Projekt erarbeitete „Charter of Patient’s Rights“ wird mit Geld aus dem Fonds in Braille gedruckt und an Krankenhäuser verteilt.

10. Inklusion monitoren

Inklusion sollte überprüfbar sein. Deshalb ist es wichtig, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auch im Monitoringsystem eines Vorhabens zu erfassen. Wie generell in der EZ gilt auch hier: Je wirkungsorientierter, desto sinnvoller. So sollten nicht nur Aussagen, etwa über die Anzahl von Nutzer*innen mit Behinderungen in einem Projekt gemacht werden, sondern auch über die Anpassungen der Projektmaßnahmen entsprechend den unterschiedlichen Bedürfnissen dieser Gruppe.

Beispiel:
In einem Berufsbildungsprogramm wird nicht nur das Geschlecht und das Alter der Schüler*innen festgehalten, sondern auch, ob diese einen speziellen Förderbedarf haben. Am Ende des Jahres werden die Leistungen der Schüler*innen, wie auch die Erfolge der speziellen Förderung gemessen.

Sie wollen mehr darüber erfahren, wie Sie Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsprojekten umsetzen können? Dann treten Sie mit uns unter disability@giz.de in Kontakt.